Zipolite

Ein Kind ist da, um dir ungefiltert und fadengerade deine Schwächen aufzeigen und um permanent am eigenen Charakter zu feilen.

Um den Rahmen dieses Blogs nicht zu sprengen, fokussieren wir uns nur auf eine meiner Schwächen: 

Die Geduld

Mit Yeva Zeit zu verbringen, macht viel Spass, aber geht oft an die Substanz. 

Jenny und ich folgen der Regel, vor Yeva kein Handy zu benützen. 

Sollte jemand den anderen erwischen, kann die Rechnung nur mit einer fünfminütigen Massage beglichen werden. 

Natürlich ohne Happy-End, 

wir mögen keinen Sex während der Regel. 

Mit der Einführung dieser Regel kann "Langeweile aushalten" nicht wie üblich auf dieser Erde durch sinnloses, süchtigmachendes, stundenlanges, schnelllebiges Handyswipen ersetzt werden. 

Und wenn ich es trotzdem im Stundentakt im Versteckten versuche, werde ich entweder von Jenny erwischt oder reagiere panisch, da ich genau diesen einen Moment verpasse, in welchem Yeva Gegenstände in den Mund nimmt und ich hektisch mit meinen Händen in Yeva's Mund greifen muss, um sie vor Schlimmerem zu bewahren. 

Gott straft sofort! 

Ständig ein Auge auf Yeva zu werfen, braucht unendlich Geduld beim frühen Aufstehen und beim Wach werden, beim Spielen im Sand oder im Wasser. 

Kurz bist du abgelenkt - passiert in Zipolite ziemlich schnell mit den hier wachsenden Gurken und Melonen und den hier lebenden Leguanen und Muscheln - schon hat Yeva entweder etwas im Mund oder fällt rückwärts auf den Boden. 

Das unglaublich Schwierige daran: Einerseits wird dein Hirn so gefordert, da du pausenlos konzentriert sein musst, anderseits so unterfordert, da es stinklangweilig werden kann und du nichts tun kannst, als einfach nur zuzuschauen und zu beobachten. 

Ein bisschen wie früher in der Mathematik: 

Du musst während der Stunde präsent sein, dir schläft dein Gesicht ein, 

trotzdem musst du die Augen halb offen behalten, darfst von der Lehrperson ja nicht erwischt werden und solltest trotzdem noch einigermassen begreifen, was der analytische Langweiler vorne von sich gibt. 

Jenny ist definitiv geduldiger in Mathe.

An alle Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen: 

Ich ziehe den Hut vor euch. 

Nur zur Klarstellung, mein Text sollte kein Plädoyer für eine Welt ohne Kinder sein. 

Im Gegenteil. 

Mein Schlussfazit: 

Ein Kind zu haben ist bis dahin, ich bin jedoch der Psyche wegen auch militäruntauglich und mir fehlt leider der Vergleich zum tollen Militär, die wohl beste Lebensschule unseres verwöhnten Lebens. 

Zurück zu den bereits erwähnten Früchten, Gemüsen und Tieren. 

Zipolite hat den bekanntesten Nacktstrand Mexikos.  

Der Blick auf die alten, überreifen Gurken, auf die riesigen, hässlichen Schwänze der Leguane sowie auf die hängenden Melonen und stinkenden Muscheln in Kombination mit dem wunderbaren Hintergrund des rauschenden Meeres bringt uns zum Zweifeln und Nachdenken:

"Wie kann es sein, dass diese Welt so etwas Furchtbares und Wunderbares zugleich kreiert?" 

Die Antwort darauf: "Die Natur hatte wohl nicht die Absicht, Menschen so alt werden zu lassen." 

Der Nasenbär wird übrigens höchstens fünfzehn Jahre alt. 

Er wandert nachts stets über unseren Balkon, wird nahe unseres Hauses von Autos überfahren und die hinterbliebenden Kleinen werden von Einheimischen als Haustier grossgezogen. 

PS: Im Gespräch mit den Haustierbesitzern finden wir nach einer Woche heraus, dass es sich um ein Opossum handelt. 

Stellt euch bitte trotzdem einen Nasenbär vor, damit ihr beim Lesen weiterhin staunt, welch krasse Sachen wir während unserer Reise mit Kleinkind im momentan eher wenig aufregenden Alltag erleben.

Das hat seine Gründe:

Yeva braucht viel Zeit, um ihren Bewegungsdrang zu stillen, 

Jenny viel Zeit, um Yeva zu stillen, 

um an ihren Weiterbildungen zu arbeiten und ich viel Zeit um jeden Tag wieder mit etwas Neuem zu beginnen.  

Sollte ich meine gesteckten Ziele erreichen, wird aus mir nämlich ein veganer Handpanspieler mit Sprechgesang, Kinderliedererfinder, Buchautor, Wildkräuterexperte und Einsiedler, der seine Familie mit eigenem Garten selbstversorgt, eine private Schule gründet, seine 4000 ungelesenen Wunschbücher liest, ein Naturcamp aufbaut und sogar, ACHTUNG, halt dich bitte fest, selbstständig, ohne Hilfe, AUTO fährt. 

Ohne Auto sind wir übrigens hier unterwegs. 

Die Zeit, die uns übrig bleibt, nutzen wir, um an den Strand zu gehen oder um benachbarte Orte zu besuchen. 

Die öffentlichen, meist überfüllten Verkehrsmittel, auch Camionetas genannt, haben weder einen Gurt, noch einen Fahrplan, geschweige denn Bushaltestellen. 

Aber trotzdem ein riesengrosses Tamtam, wenn ich die weinende Yeva, falls wir endlich mal in einem Auto sind, aus dem Maxi Cosi nehme, um sie zu trösten. 

"Tobias, Sicherheit goht vor!" 

Widerspruch? 

Sehr wohl, bitte bei Jenny anklopfen,

ihr mit der Wahrheit den Mund stopfen, 

klar, bei absoluter Sicherheit gibt's nichts zu motzen, 

doch unmöglich, die ÖV's, Strassen und Fahrer sind hier so oder so zum Kotzen. 

Und zurück in der Schweiz regen wir uns anschliessend wieder auf, wenn die SBB drei Minuten zu spät eintrifft oder ein Mal pro zwei Jahre ausfällt, da Kühe über das Gleis spazieren, 

wir bünzligen Vollidioten! 

Nun beende ich meinen Blog, denn rechts von mir ist Yeva und schaut auf den Handybildschirm, ein weiteres Mal. 

Scheiss drauf, 

aber worauf ich nicht scheisse, 

hinter ihr, 

Jenny.

Ich hasse die täglichen Massagen. 

Bis nächste Woche!

Tobias