Zwischen Selbstliebe und Selbstzweifel
Kurz google ich, was es beim Schreiben von Kolumnen zu berücksichtigen gibt.
Mich beschäftigt vor allem der Zusammenhang von Humor und Authentizität. Ein Reiseblog soll nämlich nicht gezwungenermassen lustig wirken.
Ups, da habe ich mich wohl die letzten Wochen vertan.
Deshalb heute ein spontaner, aber leider auch sehr Ich-bezogener Bericht mit Ecken und Kanten im Gesicht.
Bin ich etwa ein Egoist?
Unser erstes Ziel, Valladolid, ist eine Kolonialstadt der Spanier, welche die Mayas damals verdrängten, ihre Häuser zerstörten und damit ihre eigenen Bauten umsetzten.
Valladolid ist gross, liegt nicht am Meer, ist heiss, hektisch und heftig,
heftig scheisse.
Mit Ausnahme von Oxmán, einer unfassbaren, dreissig Meter im Boden befindenden Cenote, deren Wurzeln aus dem Wasser wachsen und bis an die Erdoberfläche ragen.
Unglaublich schön.
Dennoch, allgemein gesehen, fällt der Abstecher nach Valladolid nüchtern aus:
Drei Stunden Autofahrt für den Arsch,
zum Glück nicht schon ohnehin mühsam genug mit einem neun Monate alten, sehr aktiven, ständig krabbelnden, von unseren Genen abstammenden Kleinkind, welches verständlicherweise sicher nicht ruhig sitzen will.
Uns gefällt es hier nicht, gar nicht, vom ersten Moment nicht.
Wir haben uns leider auch zu wenig über die Stadt informiert.
Uninformiert wirkt Menschengemachtes ohnehin meistens uninteressant, denn Kirchen besuchen kann man sogar im Entlebuch.
Vom Landei-Walliser an die Entlebucherin, die mitliest:
"Ruhig bleiben, die Mistgabel brauchst du im Sommer noch für wichtigere Angelegenheiten."
Das Tüpfchen auf dem i ist, dass dieser Ort so viele negative Energie ausstrahlt, dass sich die ohnehin schon fremdende Yeva sogar von den Hotelpuppen fürchet und diese Monster, die aber mal gar nichts mit Kunst zu tun haben, in jeder verdammten Ecke stehen müssen.
Von Valladolid, "El Culo", schleunigst auf den Weg in Richtung "El Cuyo".
Der Weg dahin hat es in sich. Weit und breit gar nichts, holprige Strassen, eine nicht schlafende Yeva und wenig Tank im Lambo.
Mit Glück finden wir irgendwo im Nirgendwo eine Tankstelle, obwohl Jenny noch genau davor gewarnt hat und deshalb am Abfahrtsort zur Sicherheit noch für sage und schreibe zehn Franken getankt hat.
Heutige Mathematikgleichung für die im Normalfall intelligente Jenny:
IQ = Alter
Zu Beginn der Fahrt halten wir an einer Taqueria am Strassenrand an, wie immer, wenn wir unterwegs sind.
Wir sprechen die Urgrossmutter, sie nennt sich selber "bisabuela", hinter dem Grill an.
Eine AHV gibt es hierzulande wohl nicht.
Sie scheint Spass an unserem schlechten Spanisch und an Yeva zu haben und gesellt sich zu uns an den Tisch.
Mir fallen vor allem ihre silbernen Zähne auf und ich muss sie immer wieder anstarren, obwohl sich die Gafferei alles andere als anständig anfühlt.
Das ist wie ein Blick in die Sonnenfinsternis, du willst nicht schauen und machst es dann trotzdem.
Äch sorry, schon wieder so ein beschissener Vergleich, sogar noch von einem Freund geklaut.
Damit ist jetzt Schluss.
Nennenswert ist vor allem die Quintessenz aus dem Gespräch mit der "bisabuela":
Immer wieder versuchen wir sie aus der Reserve zu locken,
ihre Haltung zu spüren,
wie zum Beispiel Vergleiche vom früheren Leben mit dem Jetzigen,
oder Unterschiede vom Landleben zum Stadtleben.
Wir möchten den Wutbürger in ihr erwachen lassen,
mehr von ihrer Unzufriedenheit und ihrem Unmut über diese Welt erfahren...
Aber Fehlanzeige, da kommt nichts.
Diese Frau wertet nicht, sie lebt im Hier und Jetzt. Zufrieden mit sich und ihrem kleinen Garten, mehr scheint sie bewusst nicht beeinflussen zu wollen.
Und wir sind uns sicher:
Sie zeigt uns damit ihre Weisheit und bestimmt nicht ihre Naivität.
Ich bin beeindruckt von ihr und folgende, komplizierte Frage geht mir durch den Kopf:
"Wie viele Menschen auf dieser Erde gibt es wohl, die bewusst ihre Meinung und ihr Wissen zurückhalten, weil sie wissen, dass sie es eventuell doch nicht besser wissen und ihr Nicht-Wissen mehr bewirkt als ihr Wissen?"
Ich weiss, dass ich nichts weiss.
Wir sind irgendwo, vielleicht, möglicherweise in El Cuyo angekommen.
Unsere Reiseroute ähnelt einer Rundfahrt und hat sehr wenig mit Logik zu tun.
Es ist vielmehr das Produkt von unserer
"Wir entscheiden jeden Tag neu, was der Plan ist"-Strategie.

Logischer und analytischer geht Jenny bei unserem stinkendem WC vor.
Sie stopft alle Abflusslöcher, es könnten sich nämlich Tiere via Abfluss in unsere Wohnung verirren.
Leguane, Spinnen, Pelikane, Flamingos, sogar Dinosaurier, alle willkommen, aber stellt euch vor, es könnte ja eine Kakerlake sein.

Von Jenny's Kakerlaken-Komplex zu meinem "Grosse-Nase-Komplex":
Alle finden Yeva mega süss und sprechen dies immer wieder auf der Strasse an.
Schaut euch das Foto selber an und bildet euch selbst ein Urteil. Dass sie Farbe ausstrahlt, ist zumindest nicht abzustreiten.

Ich bin froh, ähnelt sie nicht nur mir, wegen meiner Nase.
Jenny meint, ich würde einen Nasen-Komplex haben und da hat sie wohl recht.
Zu meiner Nase: Sie ist so breit wie Bob Marley, so gross wie Usuain Bolt, hat den gleichen BMI wie "Over the rainbow"-Sänger Israel Kamakawiwo'ole (Lies den Namen laut vor und scheitere) und ihr Vorbild ist die Nase, also bei ihm ein Synonym für Gesicht, von Schauspieler Gérard Depardieu, alias Obelix.
Als wäre das nicht schon genug, ist sie neben dem Ohr das einzige Organ, das lebenslang wächst.
Kein Wunder glaube ich nicht an Gott.

Mein Fazit daraus für alle:
Wenn man Witze über sich selber macht, bedeutet das noch lange nicht, dass man wirklich darüber steht.
Bei mir steht man höchstens darunter, vor allem, wenn man Schatten braucht.
Zum Glück gehts Jenny ja vor allem um das Innere und hier kann mir kein Mann, aber wirklich gar kein Mann, Paroli bieten.
So selbstbewusst bin ich, um zu sagen:
"Ich habe den besten, spannendsten und farbigsten...
Schnuder!"
Gelb sind übrigens unter anderem die süchtigmachenden Mangos. Wir gönnen sie uns meistens mit der tollen Chamoy-Sauce und einem Chili-Gewürz.
Weiteren Gefallen bekunden wir an Avocados, Mameys, Kokosnüssen, Chayoten, Melonen und Papayas.
Vor allem Yeva entwickelt sich mehr und mehr zu einem Avocado-, Mango- und zu einem El Cuyo-Kind.
El Cuyo ist nämlich im Gegensatz zu Valladolid ein grossartiges, eher lokales Fischerdorf, ist familienfreundlich und hat richtig viel Charme.
Keinen Bankautomaten, lokale Fischer, bei denen die Fischerruten auch gelegentlich im Schnabel eines Pelikans hängen bleiben und das regungslos zur Kenntnis genommen wird, charmante Restaurants, total verlassene Strände und wechselnde Farben des Meeres im Minutentakt, sowie verdammt hartnäckige Mücken.
So hartnäckig und gemäss Jenny so furchterregend, dass ich mit der kurzen Kleidern tragenden Yeva während des Nachtessens nach Hause flüchten muss, um sie vor zu hohem Blutverlust zu schützen.
Morgiger Blicktitel dazu:
"Schweizer Baby wird von dunkelhäutigen Ausländern mehrmals verstochen und verliert dabei viel Blut!"
Nun, das wars von der Region Quintana Roo und Yucatán.
Nun fliegen wir in den Süden, nach Oaxaca.
"Ja, wir fliegen schon wieder."
An alle die mich die letzten Jahre aushalten mussten:
"Nein, ich habe kein schlechtes Gewissen zu fliegen."
Der Öko-Teufel auf der rechten Schulter habe ich zum Glück schon vor dem Flug hierhin in die Wüste GEKICKT.
Wie dieser Teufel aussieht? Eine in der Wüste befindende, grüne, auf dem E-Bike sitzende, nur Sojamilch trinkende, vegetarisch ernährende, "Ufe mit de Klimaziel"-singende, angekettete, nicht fliegende, weltrettende Gestalt mit einem Gletscher-Initiative-Kleber auf der Stirn und einem Schuh im Arsch, meinem Schuh nämlich.
Also versteht mich nicht falsch, das Weltbild dieses Teufels ist keineswegs schlecht, im Gegenteil, ich bewundere es, es ist grossartig.
Aber seine hypermoralisierende, intolerante, nicht-liberale Spritze, die er mir über die letzten Jahre täglich initiierte, hatte enorme Nebenwirkungen, tat mir persönlich nicht nur gut, sein Einfluss auf mich viel zu gross.
Da orientiere ich mich doch lieber wieder am Engel auf der anderen Schulter mit dem Motto: "Leben und leben lassen, Amen!"
Ups, vom Reise-Blog zum Selbsttherapie-Blog, excusez-moi.
Sorry, liebe Leser und Leserinnen, nächste Woche wieder mehr Erzählungen allgemein, mehr Jenny, mehr Yeva und nur mehr achtzig Prozent von mir.
Stopp, falsch, ich hab mich nicht zu entschuldigen, denn ich, und nur ich, habe die Hauptrolle im Theaterstück meines Lebens. Ich liebe mich.
Bin ich etwa ein Egoist?
Oh ja, das bin ich und noch verdammt stolz darauf dazu.
Bis nächste Woche aus Oaxaca mit MIR und wenn ihr Glück habt mit ein wenig Yeva, Jenny und MIR.
Gruss
ICH
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Brigitte (Sonntag, 27 März 2022 15:09)
Ja, Reisen und die liebe Selbstfindung. Bin gespannt, wie lang dir die neue politische Couleur behagt. Rot, grün, schwarz, der � und das halbe Alphabet oder doch die Liebe zur Weis(s)heit?
Dimitri (Sonntag, 27 März 2022 16:41)
Genug Bikinifotos von Jenny, her mit dem Prachtskörper von Tobias :-)
Tobias (Sonntag, 27 März 2022 19:25)
Lieber unbekannter Dimitri
Leider nein, unser Ziel ist es, die Besucherzahl weiterhin stabil zu halten.
Entlebucherin (Dienstag, 29 März 2022 20:30)
Haha… Danke für den Tipp! :) Weiter so mit deinen verrückten Blogbeiträgen… ;)
Marianne (Donnerstag, 31 März 2022 14:24)
Bi jedi Wucha gspannt uf dina spannend niw Itrag.
Wunderschöni Bilder und unterhaltsams Läse.
Schöni Wucha
Pino (Donnerstag, 31 März 2022 20:13)
Wunderbar! Geniesset sus! Dini Texta zläse ischt erfrischend und macht Freid�. Bravo!
Tobias (Freitag, 01 April 2022 18:53)
Danke euch für die netten Kommentare! :-)